Herbsttagung des Arbeitskreises Mathematik und Bildung 2017
7. & 8. September 2017
Tagungsflyer, ausführliches Infoheft & Programm zum Download
Tagungsort
... ist der Ulmencampus der Universität Rostock (genaue Adresse für Hotelsuchende: Ulmenstraße 69, 18051 Rostock).
Themenschwerpunkte
Welche Bildung brauchen Mathematiklehrkräfte? – Der Arbeitskreis ‚Mathematik und Bildung‘ hat seine bildungstheoretischen Fragestellungen bisher ausschließlich auf mathematische Bildung in der allgemeinbildenden Schule bezogen. In den letzten Jahren kam es jedoch zu vielen Umbrüchen in der Lehrerbildung im Fach Mathematik (Bologna-Prozess, Verlängerung des Studiums des Primarstufenlehramts, zuweilen Einführung eines mathematischen Pflichtteils, Einführung des Praxissemesters u. a.), die prinzipiell die Frage aufwerfen, was mathematische Bildung ausmacht. Wir erwarten hier sowohl Erfahrungsberichte aus konkreten Forschungs- und Lehrprojekten, als auch Betrachtungen allgemeinerer Natur.
Matheabi – ist das noch Bildung? – Die aktuellen Brand- und Löschbriefe zum Mathematikabitur sind die Spitze des Eisbergs eines gewachsenen Unmuts über die mathematischen Anforderungen in der Reifeprüfung. In Vorträgen und Diskussionen sollen Vorschläge zur Natur einer erweiterten mathematischen Allgemeinbildung und Vorstellungen zu einer dazu passenden Abiturprüfung dem real existierenden Mathematikabitur gegenübergestellt werden.
Texte "Brandbriefe"
Programm
Donnerstag, 7.9.2017
13:00–14:00 Uhr Ankunft und Empfang
14:00–14:15 Uhr Begrüßung
14:15–15:15 Uhr Ralf Wiechmann (Wolfratshausen) Kompetenzorientiertes Abitur und der Anspruch von Bildung (Hauptvortrag)
15:15–15:30 Uhr Kaffeepause
15:30–16:15 Uhr Clemens Cap (Universität Rostock) Was sollte ein Abiturient an Mathematik können, wenn er Informatik studieren will? (Einzelvortrag)
16:15–17:15 Uhr Wolfram Meyerhöfer (Universität Paderborn) Thesen zum Zentralabitur (Vortrag mit Diskussion)
17:15–17:30 Uhr Kaffeepause
17:30–18:30 Uhr Brandbriefe zur Qualität mathematischer Bildung (Offene Diskussion)
18:30 Uhr Gemeinsames Abendessen
Freitag, 8.9.2017
09:00–10:00 Uhr Oliver Plessow (Universität Rostock) Welche Bildung brauchen Mathematiklehrkräfte? Betrachtungen aus geschichtsdidaktischer Warte (Hauptvortrag)
10:00–11:00 Uhr Andreas Vohns (Universität Klagenfurt) Brauchen Mathematiklehrpersonen Bildung? Eine nicht ganz unernst gemeinte Frage (Vortrag mit Diskussion)
11:00–11:30 Uhr Kaffeepause
11:30–13:00 Uhr Tanja Hamann (Universität Hildesheim) Fundamentale Ideen aus der Mathematikgeschichte (Workshop)
13:00–14:15 Uhr Mittagspause
14:15–15:00 Karen Seidel (Universität Potsdam) Zur Ausbildung von Mathematiklehrkräf-ten in den 80er Jahren in der ehemaligen DDR (Einzelvortrag)
15:00–15:15 Uhr Kaffeepause
15:15–16:45 Uhr Jessica Feiertag und Eva Müller-Hill (Universität Rostock) Ein multiperspek-tivischer Experten-Workshop zum Themengebiet der Bruchrechnung in der universitären Mathematiklehramtsausbildung (Workshop)
nach kurzer Pause bis ca. 17.30 Uhr: Rückblick und Planung zukünftiger Aktivitäten
Abstracts zu den Beiträgen
Beiträge am Donnerstag
Ralf Wiechmann (Hauptvortrag)
Kompetenzorientiertes Abitur und der Anspruch von Bildung
Kompetenzorientierung betont das Können und wird deshalb als das Einlösen dessen verstanden, was Bildung intendiert. Gemeint sind dabei aber nicht fachliche Fähigkeiten, sondern das Bewältigen von Anwendungsproblemen. Dass Problemlösekompetenz fachliches Können immerhin voraussetze, lässt sich leicht auch an Beispielen widerlegen. Daher stellt Kompetenzorientierung nicht nur eine Neuausrichtung, sondern eine Umwälzung nicht nur von Unterricht und Abiturprüfungen, sondern überhaupt auch des Anspruches dar, der an Bildung gestellt wird. Entscheidend ist hier die Frage, was durch den Ausdruck "Bildung" ursprünglich indendiert ist. Es zeigt sich, dass die kompetenzorientierte Stuktur von Unterricht, Abiturprüfungen und der damit zusammenhängende Anspruch an Bildung unvereinbar sind mit dem, was der Bildungsbegriff von sich her impliziert.
Das Skript zum Vortrag finden Sie hier.
Clemens H. Cap
Was sollte ein Abiturient an Mathematik können, wenn er Informatik studieren will?
Die meisten Technologien unserer Zeit beruhen letztlich auf Anwendungen mathematisch- naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Eine solide Ausbildung in Mathematik sollte daher zum selbstverständlichen Rüstzeug von Abiturienten zählen. Das gilt in ganz besonderem Maße, wenn sie auf der Hochschule einem Studium der Informatik nachgehen möchten. In 25 Jahren universitärer Unterrichtstätigkeit in Informatik in Deutschland, Schweiz, Österreich und im Baltikum hat der Autor starke Veränderungen in den mathematischen Kenntnissen und Fähigkeiten der Hochschulanfänger beobachtet. Insbesondere seit den Bildungsreformen der letzten 15 Jahre reichen diese nicht mehr für ein erfolgreiches Studium der Informatik aus. Angesichts der zunehmenden Nachfrage nach Informatik- und MINT-Absolventen in unserer Gesellschaft ist das ein Problem. Der Vortrag beschreibt die beobachteten Veränderungen zunächst qualitativ. Er erläutert die Anforderungen der Hochschulinformatik an Studienanfänger und setzt diese in Beziehung zum Grundcurriculum der ersten vier Semester. Er verdeutlicht schließlich, welche Defizite in Kenntnissen und Fähigkeiten dringend geschlossen werden müssen, und warum.
Die Folien zu diesem Vortrag finden Sie hier.
Wolfram Meyerhöfer
Thesen zum Zentralabitur
Im Vortrag werden Argumente dafür versammelt, dass zentrale Abiturprüfungen keinen positiven Einfluss auf die Studierfähigkeit der Schüler/innen haben, aber eine Entprofessionalisierung der Lehrerschaft herbeiführen.
Die Folien zu diesem Vortrag finden Sie hier.
David Kollosche, Henrike Allmendinger
Brandbriefe zur Qualität mathematischer Bildung (Diskussionrunde)
„Es ist ein fundamentales Missverständnis, dass die Schule die Schüler studierfähig abzuliefern hat.“ (Kristina Reiss) Zur Zeit kursieren sehr unterschiedliche Reaktionen auf den Brandbrief zum „Mathematikunterricht und Kompetenzorientierung“. Diese und die Argumente des Brandbriefes selbst wollen wir in einer offenen Diskussion in den Blick nehmen. Welche Argumente sind besonders diskussionswürdig, angebracht oder auch problematisch?
Beiträge am Freitag
Oliver Plessow (Hauptvortrag)
Welche Bildung brauchen Mathematiklehrkräfte? Betrachtungen aus geschichtsdidaktischer Warte
Hat die Geschichtsdidaktik etwas dazu zu sagen, welche Bildung Mathematiklehrkräfte brauchen? Oder haben die Anforderungen, Bildungsbiographien, Selbstverständnisse, Habitus in einer traditionellen Kern-Geisteswissenschaft zu wenig mit dem zu tun, was in den MINT-Fächern gefordert wird? Um sich dieser Frage zu nähern, erscheinen drei Fragekomplexe sinnvoll: a. Gibt es (im Gegensatz etwa zu fachlichen oder allgemeinpädagogischen) disziplinenübergreifende "fachdidaktische" Perspektiven auf Bildung? b. Hat die Geschichtsdidaktik in Bezug auf den Begriff "Bildung" über Dinge nachgedacht, die auch für die Mathematikdidaktik interessant sind und die zu teilen lohnenswert erscheint? sowie c. Ist gerade die - unterstellte - Andersartigkeit fachdidaktischer Reflexion in der Geschichtsdidaktik geeignet, Fragen der Mathematikdidaktik an sich selbst zu schärfen oder neue Frageperspektiven anzuregen? Lohnenswert erscheint es hierfür, etwas zu den seit den 1980ern entwickelten Leitparadigmen der Geschichtsdidaktik zu sagen, zu ihrer Bildungs- und Wissenschaftskonzeption sowie über die Bedeutung nicht-schulischen Lernens und den Umgang damit in der Schule, sprich: über die gesellschaftliche Relevanz des Faches und die sich (hoffentlich) daran orientiertenden Vorgaben für die Lehrkräfteausbildung.
Andreas Vohns
Brauchen Mathematiklehrpersonen Bildung? Eine nicht ganz unernst gemeinte Frage
Im Vortrag wird der Frage nachgegangen, inwiefern mit „Bildung von (Mathematik-)Lehrpersonen“ etwas Anderes gemeint war, ist oder sein könnte und sollte, als mit „Ausbildung von (Mathematik-)Lehrkräften“. Hierzu werden semantische Differenzen zwischen Erziehung, Bildung, Allgemeinbildung und Ausbildung aus deren bildungstheoretischer Tradition heraus entwickelt und mit „idealtypischen Bildern“ vom Mathematiklehrberuf kontrastiert, die als Zuspitzung verschiedener Phasen der etwa 200jährigen Tradition staatlich beaufsichtigter Lehrer(aus)bildung in Deutschland konstruiert werden.
Hier finden Sie die Folien, sowie das Skript zu diesem Vortrag. Das gesamte Projekt finden Sie hier.
Tanja Hamann
Fundamentale Ideen aus der Mathematikgeschichte (Workshop)
Neben der Fähigkeit, die Schulmathematik mit dem Blick von oben zu betrachten, sollen die Hildesheimer Lehramtsstudierenden einen Überblick über die Fachwissenschaft Mathematik erwerben, der darüber hinausgeht. Um Mathematik als Einheit zu vermitteln und die Fachvorlesungen stärker miteinander zu vernetzen, sollen deren Inhalte sich an gewissen zentralen fachlichen Ideen und Begriffen orientieren. Erste Ideen für ein entsprechendes Konzept sollen präsentiert, diskutiert und gerne weiterentwickelt werden.
Karen Seidel
Zur Ausbildung von Mathematiklehrkräften in den 80er Jahren in der ehemaligen DDR
Nach dem Ländervergleich 2012 wurde in den Medien über Ursachen des ihm zu Folge in den östlichen Bundesländern vorhandenen mathematisch-naturwissenschaftlichen Leistungsvorsprungs spekuliert. Im Vortrag wird für das Fach Mathematik einer der hierfür angeführten möglichen Gründe, die fachdidaktisch höherwertige Ausbildung der angehenden mathematisch-naturwissenschaftlichen Lehrkräfte in der ehemaligen DDR, beleuchtet. Ausgehend von den Erfahrungen und Standpunkten der Anwesenden zur Ausbildung von Mathematiklehrkräften in ihrem Umfeld, wird der Frage nachgegangen: Welche Empfehlungen für die aktuelle Mathematiklehrer(innen)ausbildung lassen sich aus den Strukturen und Erfahrungen in der ehemaligen DDR ableiten? Den Ausgangspunkt bilden dabei eine allgemeine Darstellung des Bildungssystems der ehemaligen DDR in den 80er Jahren, sowie spezifischere Informationen zum Fach Mathematik. Diese entstammen unter anderem dem in Auszügen 2003 im ZDM veröffentlichten Tagungsband der "Doppeltagung zur gemeinsamen Aufarbeitung einer getrennten Geschichte" im Jahr 1996, welche der komparativen Forschung zur Entwicklung des Mathematikunterrichts in der BRD und ehemaligen DDR diente. Über Erläuterungen der strukturellen Rahmenbedingungen hinaus werden exemplarisch Studieninhalte in der sogenannten Methodik des Mathematikunterrichts vorgestellt.
Die Folien zu diesem Vortrag finden Sie hier.
Jessica Feiertag, Eva Müller-Hill
Theorie trifft Praxis: Ein multiperspektivischer Experten-Workshop zum Themengebiet der Bruchrechnungin der universitären Mathematiklehramtsausbildung (Workshop)
Mit großem Ausrufezeichen wurde in einem offenen Brief im März 2017 zu „Mathematikunterricht und Kompetenzorientierung“ kundig gemacht, dass Studienanfängerinnen und -anfängern grundle-gende Mittelstufenkenntnisse bei Studienantritt fehlen. Grund hierfür sei eine Ausdünnung des Ma-thematik-Schulstoffes im Rahmen der durch Bildungsstandards eingeführten Kompetenzorientierung (Mathematikunterricht und Kompetenzorientierung - ein offener Brief 2017). Was müssten zukünftige Mathematiklehrpersonen wissen und können, um die Bildungsstandards und Rahmenpläne so zu nutzen, dass sich die mathematischen Kenntnisse der Schülerinnen und Schüler am Ende der Schullauf¬bahn auf einem für Studien- und Ausbildungsgänge geeigneten Niveau befinden? Ist das Erreichen eines solchen Niveaus überhaupt möglich und sinnvoll? Mit diesen Fragen wollen wir uns am Beispiel des Themengebiets der Bruchrechnung in einem Workshop näher auseinandersetzen. Das eingesetzte Konzept der multiperspektivischen Experten-Workshops, das sich an den Experten-Workshops der Berufsbildungsforschung zur Berufsanalyse und Curriculumentwicklung orientiert (Norton 1997; Collum 1999; Bader 1995, 2003; Kleiner et al. 2002; Reinhold et al. 2003) und auf das Konzept „Lehrer als Experte“ (Bromme 2014) aufbaut, soll im Rahmen der Herbsttagung des Arbeitskreises „Mathematik und Bildung“ pilotiert werden. Das Lernen voneinander, die Diskussion und Reflexion verschiedener Standpunkte zum angesprochenen Themengebiet und die Erarbeitung eines gemeinsamen Konzeptes stehen im Mittelpunkt des Workshops. Mathematiker*innen, Didakti-ker*innen und Mathematiklehrer*innen kommen als Expertengruppen im Workshop zusammen und entwickeln in einem phasierten Vorgehen ein gemeinsames Lernfeld für die Bruchrechnung in der universitären Mathematiklehramtsausbildung. Bei dem geringen zeitlichen Umfang dieser Pilotierung erhoffen wir uns eine erste Idee der Gestalt des Lernfeldes sowie vor allem eine konstruktive und nachhaltige Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Expertengruppen.
Diese Tagung wurde gefördert vom Department "Wissen - Kultur - Transformation" von der Interdisziplinären Fakultät der Universität Rostock. Weitere Infos und alle Mitglieder sind auf den Seiten den Interdisziplinären Fakultät zu finden.